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German

Meta: Wie meine Gedichte entstehen

Gestern wurde ich gefragt, wie meine Gedichte zustande kommen. Das ist erstaunlich schwierig zu beantworten: Mir fehlt die Distanz zu mir selbst. In meiner eigenen Wahrnehmung passieren sie einfach; man werkelt an ihnen herum und baut sie auf wie ein kleines Haus, ändert hier und da immer wieder etwas ab, bis man zufrieden ist, und am Ende sind sie da. Wobei sich einzelne Prozesse für sich betrachtet schon beschreiben lassen: Manchmal ist ein Vers zuerst da, oder auch nur ein einzelner Reim, und der Rest folgt darauf. Aber der Prozess an sich ist mir selbst ein Rätsel, und ich beobachte mich selbst dabei vermutlich verwunderter als irgendjemand anders. Aber im Grunde ist es so: Schreibt man einen Aufsatz, eine Analyse oder dergleichen, dann weiß man anfangs noch nicht so genau, worauf es hinauslaufen wird: Man fängt an, recherchiert, analysiert, und am Ende kommt man irgendwo heraus, wenn auch nicht zwangsläufig dort, wo man es beabsichtigt hatte.

Bei meinen Gedichten ist es umgekehrt. Ich schreibe sie fast immer rückwärts (und fange dabei auch bei der letzten Strophe an). Es ist wie… als ob man ein Pferd erstmals durch ein bekanntes Moor führt: Man selbst kennt den Weg bereits, man weiß wo man am Ende hinauskommen muss; aber man kann nicht denselben Weg gehen, den man bereits gewohnt und schon tausende Male zuvor gegangen ist: Denn nun hat man einen Begleiter, der anders ist als man selbst, schwerfälliger, der leichter im Moor versinken würde. Man sucht sich also einen Weg, den beide gehen können ohne zu versinken, für einen selbst dabei doch neu; man muss ihn erst suchen, ertasten, prüfen, revidieren, umkehren und einen neuen einschlagen, bis man endlich einen sicheren Weg gefunden hat, mit dem man zufrieden ist, und der einen dort hin bringt, wo man hinwill. Und während all dieser Zeit führt man seinen Begleiter am Zügel hinter sich her, der einem wortlos, aufmerksam, skeptisch und doch vertrauensvoll in leichter Verwunderung folgt, und um dessen Einsinken man so bedacht ist wie um sein eigenes. Dieses Pferd ist der Leser, dieses Moor meine Gedanken, und dieser Weg das Gedicht.


Situation I.

Situation: Du stehst in einem Wartezimmer, grau-grün gestrichene, sterile Wände und ein ebenso steriler, spiegelnder Linoleumboden (PVC, genaugenommen): potentiell quietschend, aalglatte Perfektion in Polyvinyl. Die Wartenden verharren in ihrer künstlichen Suspension: eine Stasis, die zeitlos ist und so lange anhält, bis du sie ansprichst. Nachdem sie ihre Starre für die kurze Zeit gebrochen haben, in der sie dir ihre vorgefertigten Textschnipsel aufsagen, fallen sie wieder zurück in ihre Position, als sei nichts gewesen. Sie sind Aufziehpuppen, gefangen in einem zeitlosen Kontinuum, einem dimensionslosen Fegefeuer.
Du siehst dich um. Es ist ein Raum – soviel steht fest. Ein steriler Raum, grau-grüne Wände, spiegelnder Fußboden, temporär pseudo-lebendige Aufziehpuppen; so weit waren wir schon. Es ist kalt. Es ist still. Keine Uhr tickt, wie man es vermuten würde, wie es meistens in Büchern steht: “Nur die Uhr tickte leise im Hintergrund vor sich hin.” Aber es tickt keine Uhr, was die Situation so im Ganzen eigentlich noch viel schlimmer macht. Es gibt nicht einmal einen Hintergrund, oder einen Vordergrund, oder überhaupt irgendeinen Grund. (Selbst der Boden ist nur noch Boden, nicht Grund und Boden, genaugenommen). Die Anwesenheit von Raum in Verbindung mit der Abwesenheit eines Grundes verwirrt und irritiert dich. Es ist ein abgeschlossener Raum: Keine Türen, keine Fenster. Von Klaustrophobie kann man trotzdem nicht sprechen, von Orientierungslosigkeit allerdings schon. Gibt es ein innen, wenn man nicht weiß, ob es ein außen gibt?
Ein Schiff wäre jetzt gut.
Ein Schiff wäre, genaugenommen, perfekt, eben weil es so absurd und eigentlich auch so nutzlos wäre: So vortrefflich fehl am Platz. Was will man schließlich mit einem Schiff in einem abgeschlossenen grau-grünen Raum ohne Türen und Fenster, auf einem spiegelglatten Linoleumboden? Weit und breit kein Meer, kein Fluss, kein Teich, See oder Ähnliches: Ja, ein Schiff, das wäre jetzt perfekt dazu geeignet, um die Absurdität dieser Situation auf eine angemessene Art und Weise herauszustellen, denn es gäbe passenderweise wohl kaum etwas Unpassenderes.
So ist das, wenn man wartet. Du lässt nicht dein Leben Revue passieren, denkst nicht an das was war oder sein könnte; im Angesicht des Katastrophenszenarios der Dinge – kognitiv gesehen, immerhin führt sich das Nachdenken über den Verlust der eigenen Denkfähigkeit selbst ad absurdum – denkst du nicht an das Schöne, das Schlechte, das Tiefgründige, das Bevorstehende, das Große und Ganze was sich letztendlich im allgemeinen Feinstaub des Kosmos verliert. Aber die scheußliche Wandfarbe, die fällt dir natürlich auf? Na klar. Panikzustand, so ist das eben. Das ist normal, keine Sorge. Es geht den meisten Menschen so, kurz vor ihrer Hinrichtung, habe ich mir sagen lassen. Das Gehirn abstrahiert, und konzentriert sich auf das Fassbare. Aber keine Angst: Es dauert nicht mehr lange, dann ist es vorbei. Dann –